Benjamin Disraeli:" Das Reisen lehrt Toleranz"?

2 Antworten

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Hallo Polarfuchs,

obwohl ich kein übermäßiges, kulturelles Sendungsbewusstsein auf Reisen zeige, kommt es doch häufig zu Konflikten zwischen meiner Ethik und dem, was ich vorfinde. Wenn es um die Verletzung allgemeiner Menschenrechte geht, die ich für universell halte (so arrogant bin ich denn doch!), wird es schwierig. Es geht nicht darum, dass an meinem "deutschen Wesen" die Welt genesen soll,aber ohne kulturellen Standpunkt kann es keine Toleranz geben, das ist schon durch die eigentliche Definition gegeben. Toleranz ist Arbeit, ich ertrage schließlich etwas, was ich eigentlich nicht möchte oder schätze. Man toleriert, weil man letztendlich mit einer entsprechenden Gegenleistung seines sozialen Netzwerkes rechnet, also funktioniert Toleranz nach dem Altruismusprinzip.

Als Individualreisender bekommt man intensiven Kontakt zu fremden Kulturen, wird allerdings auch bezüglich der Toleranz stärker gefordert. Ich war jedenfalls nie bereit, vom kolumbianischen Bürgerkrieg bis zur faktischen Ausrottung verschiedener Naturvölker alles "supi" zu finden. Ein Aymara-Indianer, der mich beklaut hatte und erwischt wurde, sollte (ernsthaft!) von seinen Dorfkollegen gehenkt werden (die "regeln" vieles selbst), das habe ich auch nicht toleriert, was harte Diskussionen und kulturelle Vorwürfe zur Folge hatte.

Klar- bei diesen Beispielen ernte ich selten Widerspruch, schon eher, wenn ich die Form der "Toleranz" kritisiere, die ich für Relativismus halte. Oft, auch hier im Forum schon, habe ich Attitüden kennen gelernt, die aus Prinzip alles supi finden, was unserer Kultur fremd ist, verbunden mit der Aussage, dass so ziemlich alles besser ist als Mitteleuropa, speziell Deutschland. Ich kann das nicht nachvollziehen, gerade durch längere Auslandsaufenthalte habe ich gelernt, wie ich kulturell eigentlich so ticke. Über andere Kulturen habe ich natürlich auch etwas gelernt- offen sollte man schon sein.

Zum guten Schluss: Man kann natürlich irgendwo hinfahren und, weil man etwas nicht tolerieren möchte und dem aktiv Ausdruck verleihen möchte, sei es z.B. der Stierkampf in Spanien oder der Walfang in Norwegen. Ich habe diese Beispiele deshalb gewählt, weil niemand diesen Leuten Intoleranz vorwerfen möchte. Wer sich nicht so konfrontieren möchte, sollte sich über legen, welches Reiseziel sinnvoll ist, für mich persönlich kommen unter bewussten Intoleranzgesichtspunkten nicht alle Länder als Reiseländer in Frage. Auch bewusste Intoleranz muss ständig geprüft werden- wenn ihr mich fragt.


polarfuchs 
Beitragsersteller
 07.09.2010, 13:53

Tolle Antwort, danke dir:)

lisapisa  07.09.2010, 13:52

Das kann ich voll und ganz unterschreiben - DH! - eine Freundin wurde auf ihrer Afrikareise zu einem Frauenbeschneidungsfest eingeladen - da hat meine Toleranz sofort Grenzen!

Toleranz hat da Grenzen, wo Demut vor dem Leben und dem, was man alles hat und dem, was man alles bei bester Gesundheit machen kann, einsetzt! Und Reisen lehrt uns (meistens) Demut!! So geht es mir jedenfalls. Und im übrigen bin ich anderer Meinung als Benjamin: Das Leben lehrt Toleranz und nicht das Reisen. Wär ja sonst schade, um all` die Menschen um uns herum, die sich das "Reisen" nicht leisten können und trotzdem verdammt tolerante Leute sind. Sehr gut, das es (wenigstens) da keinen Wettbewerbsvorteil gibt.

Und da ich auch deinen Benjamin Disraeli nicht kenne und meine Antwort bestimmt komplett an deiner Frage vorbei geht, aber ich unbedingt darauf Antworten mußte, wünsche ich mir von die eins: Toleranz! In diesem Sinne: Gute Nacht!:-)